Mission Possible
Autor: Klaus-Peter Bredschneider
Es ist eine geradezu ansteckende Zuversicht, die Gunter Kürten ausstrahlt. Sie ist nicht gespielt, sie hat ihn sein Berufsleben lang immer wieder ermutigt, Neues zu wagen. Sie ist seine Triebfeder. Kürten ist zugleich einer, der die Ärmel hochkrempelt, der anpackt. Ein Macher.
Draußen in Bonn ist ein trüber September-Freitag, drinnen im Hotel laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Am Wochenende steht das Maritim ganz im Zeichen der Westdeutschen Hi-Fi-Tage, des wichtigsten Branchenevents im bevölkerungsreichsten Bundesland. Die High-End-Szene ist nahezu vollständig vertreten, mit dabei natürlich auch die älteste Hi-Fi-Marke der Welt. Und mittendrin Gunter Kürten. Er trägt Arbeitskleidung, ein schwarzes T-Shirt mit weißem Thorens-Schriftzug. Kürten ist zu dem Zeitpunkt der neue Mr Thorens, die Messe im Maritim sein erster wichtiger Auftritt in dieser Funktion und Mission.
Bereits 1883 im schweizerischen Sainte-Croix von Hermann Thorens gegründet, hat die analoge Traditionsmarke im Laufe der Jahrzehnte mehrfach die Besitzer gewechselt. Zwischenzeitlich sah es immer mal wieder düster aus, selbst eine Insolvenz Ende der 1990er-Jahre mit anschließender Wiederauferstehung konnte der legendären Marke keinen nachhaltigen Schaden zufügen. Highlights wie der 1957 eingeführte Studio-Plattenspieler TD 124 mit Schnellkupplung oder der TD 150 aus dem Jahr 1965, damals das erste Gerät mit Riemenantrieb und Subchassis, haben der deutsch-schweizerischen Plattenspieler-Ikone zu unvergänglichem Weltruhm in der Analogszene verholfen. Am Umsatz oder den Stückzahlen gemessen, gibt es längst erfolgreichere Plattenspielerproduzenten – keine Marke jedoch wurde so oft kopiert, hat sich so fest in das Gedächtnis der analogen Fangemeinde eingebrannt.
Das schwarze T-Shirt mit weißem Thorens-Schriftzug ist zu seinem Markenzeichen geworden. Kürzlich auf einem Flohmarkt bei Boston wurde er immer wieder auf dieses T-Shirt angesprochen, bis sein Kumpel verriet: „This is Mr Thorens.“ Ab diesem Zeitpunkt waren nur noch Selfies angesagt mit Kürten, der in der amerikanischen Provinz fast wie ein Popstar gefeiert wurde. „Thorens ist bekannt wie ein bunter Hund“, sagt Kürten beeindruckt, „unglaublich, wie viele Leute auf der ganzen Welt immer noch Thorens-Plattenspieler haben.“ Seit einigen Monaten ist Gunter Kürten stolzer Besitzer der Traditionsmarke. Als sich plötzlich und auch ziemlich überraschend die Gelegenheit zum Kauf bot, hat es sofort in ihm „gebrodelt“, er hat nicht lange gezögert, Businesspläne geschrieben, mit Banken verhandelt, dabei stets ansteckende Zuversicht ausgestrahlt, und am Ende eines Verhandlungsmarathons stand er als Alleininhaber der ältesten Marke der gesamten Branche da.
Für Kürten ist Thorens so etwas wie ein Jugendtraum, der nach langen Umwegen endlich in Erfüllung gegangen ist. In der Branche ist Kürten ja längst, um ihn in eigener Sache zu zitieren, „bekannt wie ein bunter Hund“. Er hat in leitenden Positionen bei Sony, LG und Sharp die Organisationsstrukturen von Großkonzernen kennengelernt, er ist bei Loewe die „Premiumschule“ durchlaufen, hat Denon geleitet und zuletzt Elac als Geschäftsführer zu einem modernen Vollsortimenter aufgerüstet, der vom Plattenspieler bis zum Streamer fast jeden Wunsch erfüllt.
Dort oben im hohen Norden in Kiel hat der stets frohgemute Bergisch Gladbacher besonders nachhaltige Spuren hinterlassen und aus den „Nordlichtern“ wieder eine „coole und innovative Firma“ gemacht. Und vermutlich würde er immer noch jedes Wochenende die 520 Kilometer zu seiner Familie nach Bergisch Gladbach einmal runter- und einmal rauffahren, wenn ... ja wenn es nicht sofort in ihm gebrodelt hätte. Er hat die Gelegenheit beim Schopf gepackt, und das Land Nordrhein-Westfalen hat noch ein Förderprogramm draufgepackt, gesteht Kürten, „um eine so wertvolle Marke nach NRW zu bekommen“. So wurde Bergisch Gladbach zum neuen deutschen „Analog Valley“, wie Kenner fast schon ehrfürchtig anmerken – schließlich ist mit Transrotor eine weitere analoge Ikone dort beheimatet.
„Ich bin ja gelernter Audio-Ingenieur“, erzählt Kürten, der eigentlich gleich nach dem Abi in einem Tonstudio arbeiten und mit Musikern auf Tournee gehen wollte. Während des Studiums hat er in einem Kölner Hi-Fi-Studio gejobbt, danach für einen High-End-Vertrieb im Außendienst für Umsatz gesorgt, schließlich sogar seinen eigenen Hi-Fi-Laden aufgemacht. Erfahrungen, die ihn geprägt haben und seine Leidenschaft für das Thema und die Branche widerspiegeln. Thorens sei in den letzten Jahren sehr solide geführt worden, aber vielleicht nicht mit letzter Leidenschaft, sagt der neue Besitzer: „Da wäre mehr Wachstum drin gewesen.“ Seine Zuversicht klingt schon deshalb realistisch, weil der Markt seit Jahren geradezu ungehemmt boomt.
Die LP gewinnt, weil die CD zwischen High-End-Streaming und analoger Renaissance dramatisch an Bedeutung verliert. Wer für Musik bezahlt, will auch ein haptisches Erlebnis – auch das erklärt den Boom. Kürten: „Man kauft sich mit der LP und dem Plattencover immer auch ein Stück Kultur.“ Den Streamer nutzt „Mr Thorens“ zwar auch – vor allem, wenn er Neues entdecken will, das er sich anschließend selbstverständlich als Schallplatte für den wahren Musikgenuss kauft. „Ich muss mich hinsetzen, die Platte auflegen, mir bewusst 20 oder 40 Minuten Zeit nehmen.“ Auch das sei Teil der besonderen Ausstrahlung von Vinyl. „Die Bands und Interpreten lieben Vinyl“, erklärt Kürten, „weil sie anschließend ein Kunstwerk in der Hand halten, das sie selbst geschaffen haben.“ Es sei wie mit einem schönen Buch, das als Geschenk einfach eine andere Wertschätzung erfahre als ein Monats-Abo für einen Streamingdienst. Kürten kann sich sogar noch an den Kauf seiner ersten LP erinnern. Die Erinnerungen bleiben.
Heute produziert Thorens im Schwarzwald sowie im Stuttgarter Raum, 90 Prozent der Plattenspieler sind ehrliches „Made in Germany“. Aber auch für die in Asien zugekauften Geräte verspricht Kürten: „Wo Thorens draufsteht, steckt Thorens-Technologie drin.“ Der Name steht für Subchassis-Geräte mit Riemenantrieb im Holzzargen-Design. Das ist sozusagen die DNA von Thorens, die Kürten pflegen und weiterentwickeln will. Besonders fasziniert ihn der TD 124, den Thorens in den 1960er-Jahren mit einem extrem schnell startenden Reibradantrieb speziell für den Studiomarkt entwickelt und gebaut hat. Der TD 124 ist Kult und Kürten inspiriert: „Ich will mir die Mechanik noch mal genauer ansehen. Vielleicht bekomme ich ein ähnliches Revival hin wie BMW mit dem Mini oder Fiat mit dem 500er.“
Festhalten will er aber vor allem an der Philosophie, der Thorens seinen Ruf verdankt: Sehr gute Qualität – die bezahlbar bleibt! „In den 1970er- und 1980-Jahren haben fast alle von einem Thorens-Plattenspieler geträumt, den sie sich irgendwann auch leisten konnten“, erinnert sich Kürten. Geräte übrigens, die heute zu horrenden Preisen gehandelt werden und immer noch fleißig ihren Dienst verrichten.
Der wichtigste Artikel im Thorens-Sortiment ist momentan folglich der Antriebsriemen – weil noch so viele Plattenspieler im Markt und auch in Betrieb sind. Auch das will Kürten ändern, er hat ja noch so viel vor mit der Marke – und das mit seiner glaubhaft ansteckenden Zuversicht.
Der vorstehende Artikel ist erstmals im Lifestylemagazin „VOLUME“ 2018/2019, Edition 02, erschienen (Printmagazin). Zuletzt wurde der Artikel am 22.02.2023 aktualisiert.
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