Pianistin Olga Scheps
Frau Scheps, auf Ihrem neuen Album Melody arbeiten Sie auch mit Vertretern aus der Pop- und U-Musik zusammen, etwa mit dem Ambient-Pionier Aphex Twin und mit Genre-Grenzgängern wie Chilly Gonzales und Sven Helbig; zuvor haben Sie mit 100% Scooter – Piano Only ein komplettes Album mit Titeln des Dance-Music-Trios Scooter aufgenommen. Worin besteht bei solchen Konstellationen der Reiz für Sie?
Bei dem Scooter-Projekt hat mich die Idee begeistert, aus den Songs von Scooter Neues entstehen zu lassen. Meine Piano-Kollegen Sven Helbig und Clemens Pötzsch haben Transkriptionen und Variationen auf die Originalsongs komponiert, ich habe ebenfalls Ideen einfließen lassen. Das war ein sehr inspirierender Prozess, den ich sonst selten miterlebe. Keiner von uns wusste vorher, wie unsere Musik am Ende klingen wird – nur, dass es ein akustisches Klavier-Album wird. Entstanden sind, wie ich finde, wunderschöne Klavierstücke, manche klingen „balladenhaft“, andere jazzig, Wildes und Schnelles trifft auf sehr entspannte und meditative Klänge. Auch im Konzert spiele ich diese Stücke inzwischen sehr gerne. Und die Arbeiten von Sven Helbig liebe ich ohnehin – er ist meiner Meinung nach einer der großen Komponisten unserer Zeit, ebenso Chilly Gonzales.
Zurück zu den Ihren musikalischen Wurzeln: Sie spielen Klavierabende, Solokonzerte und Kammermusik, alle mit unterschiedlichen Anforderungen – haben Sie Präferenzen bezüglich bestimmter Komponisten? Die Romantik scheint Sie ganz besonders anzusprechen ...
Ich spiele sehr gerne Werke von Frédéric Chopin, Sergej Prokofjew, Wolfgang Amadeus Mozart, Franz Schubert – es gibt so viel wundervolle Musik. Kammermusik von dem eher weniger bekannten Komponisten Mieczysław Weinberg hat es mir im Moment auch sehr angetan. Vor Kurzem habe ich für Sony Classical sein großes Quintett eingespielt, zusammen mit dem Kuss Quartett. Leider hat man nie genügend Zeit, um alle seine Ideen umzusetzen, also muss man Projekte einteilen oder auf später verschieben. Dabei lasse ich allein mein Herz entscheiden, ob ich etwas mache oder nicht, oder ob ich etwas auf später verschiebe.
Wie fühlen Sie sich grundsätzlich in die Seele einer Komposition ein? Zwischen Scooter, Strawinsky, Satie, Chopin und Mozart liegen schließlich doch kleine Welten.
Zwischen unterschiedlichen Menschen und Künstlern liegen auf den ersten Blick vielleicht Welten, Epochen, räumliche und kulturelle Un- terschiede und Entfernungen. Aber eigentlich erzählt Musik von Gefühlen und Gedanken, die wir alle empfinden. Egal, wie alt wir sind, in welcher Epoche wir leben oder wo wir herkommen. Uns berühren Werke, die vor Hunderten von Jahren geschrieben wurden, genauso wie Werke, die vor Kurzem geschrieben wurden. Es sind die gleichen menschlichen Emotionen, die vielleicht durch unterschiedliche Erfahrungen ausgelöst werden, die wir aber alle kennen.
Gibt es Stücke, die Ihnen gar nicht liegen, die Sie vermeiden?
Stephen King wurde in einem Interview einmal gefragt, ob er, wie viele seiner Schriftstellerkollegen, einen Notizblock hat. Er hat „Nein“ geantwortet und dies damit begründet, dass die guten Ideen sowieso im Kopf bleiben und sich die schlechten von selbst löschen. So ähnlich ist es bei mir: Ich erinnere mich kaum an Werke, die ich nicht ins Programm genommen habe, ich beschäftige mich mit denen, die ich ins Herz geschlossen habe.
Wie wichtig ist die spieltechnische Ebene für Sie als Pianistin?
Sie ist für mich untrennbar mit dem emotionalen Inhalt der Musik. Die Komposition und deren Interpretation im Spiel: Das ist wie ein und dasselbe.
Welcher Ihrer Lehrmeister hat Sie am meisten geprägt?
Ich hatte verschiedene, und sie alle haben etwas dazu beigetragen, dass ich meinen eigenen Stil entwickelt habe und immer weiterentwickle. Auch die, die mir Dinge gezeigt haben, die ich bewusst nicht übernehmen möchte.
Mit welchen Dirigenten arbeiten Sie besonders gerne zusammen?
Gerade komme ich aus Schweden, dort habe ich wieder einmal mit Stefan Solyom und seinem Orchester, dem Helsingborg Symphonie Orchestra, gespielt. Das war eine herrliche Zusammenarbeit, ich spüre noch das Adrenalin dieses Auftritts in mir! Sehr gerne arbeite ich mit Markus Poschner, dem derzeitigen Chefdirigenten des Bruckner Orchester Linz, und mit Marcus Bosch, der bis 2018 Generalmusikdirektor des Staatstheaters Nürnberg war und nun an der Musikhochschule München lehrt. Mit Pablo Heras-Casado hatte ich eine ungemein inspirierende Tournee zusammen mit dem Israel Philharmonic Orchestra, ebenso die Tournee in Südafrika mit Daniel Boico und verschiedenen Orchestern. An Lorin Maazel habe ich tolle Erinnerungen, auch Konzerte mit Toshiyuki Kamioka machen mir immer wieder sehr viel Freude. Demnächst werde ich mit Prof. Zakhar Bron arbeiten – er wird dirigieren, darauf bin ich sehr gespannt! Er ist einer der wichtigsten Pädagogen für Geige, Vadim Repin zum Beispiel und Maxim Vengerov waren seine Schüler.
Beim Zusammenspiel mit verschiedenen Ensembles „menschelt“ es immer wieder sehr intensiv. Wie anregend – und wie schwierig – ist die Kommunikation mit Ihren Orchesterkollegen?
Das ergibt sich, und durch die Musik hat man von Anfang an eine Nähe zueinander, man agiert auf einer gemeinsamen Ebene – auch wenn man sich noch nie vorher begegnet ist.
Wie würden Sie ihr Verhältnis zu Ihrem Publikum beschreiben? Wie sehr kann man ein Publikum „erziehen“, wie sehr muss man ihm entgegenkommen?
Ich denke nicht, dass man das Publikum „erziehen“ muss. Die Menschen kommen ins Konzert, um Musik zu genießen, zu entspannen oder in Erinnerungen zu schwelgen, Emotionen durchzuleben, über etwas Bestimmtes nachzudenken, Spaß zu haben, sich entertainen zu lassen. Das möchte ich den Zuhörern geben. Auch denke ich, dass das Livekonzert immer ein ganz besonderes musikalisches Erlebnis bleiben wird.
Wie viele Werke – Klavierabende, Klavierkonzerte – umfasst ihr derzeitiges Programm?
Puh, viele. Und es kommt ständig Neues hinzu ... Gerade habe ich die drei Sätze der Klaviertranskription „Petruschka“ von Strawinsky ins Programm genommen, demnächst lerne ich neue Mozart-Konzerte.
Wie erholen Sie sich nach anstrengenden Konzerten? Rachmaninows Klavierkonzerte 2 und 3 oder Werke von Tschaikowsky und Brahms beanspruchen Körper und Seele gleichermaßen ...
Mit Ausschlafen ...
Wie hören Sie selbst Musik: noch in physischen Formaten via LP oder CD – oder sind Sie schon im Streaming-Zeitalter angekommen?
Überwiegend via YouTube und Streaming, aber natürlich hin und wieder auf CD; zu Hause habe ich einen CD-Spieler. Und neulich habe ich mal wieder eine Vinyl-LP bei meinen Eltern gehört – das war ein sehr schönes Hörerlebnis!
Welche Eigenschaften muss ein Hi-Fi-Gerät haben, um Sie zu begeistern?
Es muss eine sehr gute Qualität haben und den echten Klang bestmöglich und authentisch wiedergeben.
Und gibt eine bestimmte Hi-Fi-Marke oder ein Produkt, das Ihnen ganz besonders ans Herz gewachsen ist?
Oh ja: Ohne meine Noise-Cancelling-Kopfhörer von Sony trete ich keine Reise an. Die liebe ich!
DAS GESPRÄCH FÜHRTE CHRISTOF HAMMER FÜR VOLUME
Olga Scheps
Geboren 1986 in Moskau, entdeckte die Tochter zweier Pianisten mit vier Jahren das Klavierspiel für sich. Ihre Klavierstudien intensivierte sie nach dem Umzug der Familie nach Deutschland 1992 und wurde in der Folge von Alfred Brendel gefördert. Ihr Studium bei Prof. Pavel Gililov in ihrer Wahlheimat Köln schloss die Stipendiatin der Deutschen Stiftung Musikleben und der Studienstiftung des deutschen Volkes 2013 mit dem Konzertexamen mit Auszeichnung ab.
Bereits 2009 erschien ihr Debütalbum Chopin, mit dem sie auf Anhieb einen Klassik-ECHO gewann. Auch weitere Einspielungen wie das Russian Album (2010) und Schubert (2012) wurden von den Kritikern hochgelobt. „Olga Scheps ist eine echte Entdeckung. So habe ich Chopin noch nicht gehört“, befand etwa der renommierte Klassikkritiker Prof. Joachim Kaiser; eine „phänomenale Pianistin“ hörte die Frankfurter Neue Presse.
Weitere Highlights ihrer Diskografie: ihre Aufnahme von Chopins Klavierkonzerten Nummer 1 und 2 mit dem Stuttgarter Kammerorchester (2014), das Solo-Album Vocalise (2015) und die Disc Satie zum 150. Geburtstag des französischen Komponisten, das Platz eins der deutschen Klassik-Charts erreichte.
Die aktuellen CDs:
100% Scooter - Piano Only
(Kontor 1068874STU 7 Edel Germany)
Melody
(Sony Classical 19075923952)
Der vorstehende Artikel ist erstmals im Lifestylemagazin „VOLUME“ 2019, Edition 03, erschienen (Printmagazin). Zuletzt wurde der Artikel am 20.01.2023 aktualisiert.
Herausgeber des VOLUME-Magazins: HIGH END SOCIETY e. V., Verlag: MAXX8 GmbH
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