Alles wissen
Von Wolfgang Tunze
„Discovery“ – einen passenderen Namen für den ersten Roon-Server deutscher Provenienz hätte sein Hersteller Elac kaum finden können. Als das Gerät allerdings zur High End 2016 das Licht der Fachwelt erblickte, mussten seine Macher erst einmal erklären, was es damit überhaupt auf sich hat. Denn das unscheinbare, mausgraue Kästchen sah so ganz anders aus als alles, was man sich unter einem Messe-Highlight vorstellt. Besondere Kennzeichen: Abmessungen und Charme einer Keksdose, kein Display, keine Knöpfe und auch sonst nichts, was irgendeine Art von Funktion verraten könnte. Und Roon – was sollte das nun sein? Nur wenige Eingeweihte wussten es damals schon. Für alle anderen vermittelte erst ein Griff zum Tablet-Rechner eine Anmutung davon, was in der Elektronikschachtel steckt. Auf dem Bildschirm erschienen Navigationsoberflächen zum Stöbern in Musikarchiven – so ähnlich, wie man es von iTunes oder der Steuer- software des Sonos-Systems kennt.
So ähnlich? Eben nicht. Ein zweiter Blick machte die Unterschiede klar. Wo iTunes zu jedem Musikalbum allenfalls ein kleines Bildchen und die Namen von Interpreten und Komponisten zeigt, entfaltet das Roon-System große Coverbilder, zusätzliche Fotos, Fachartikel über Band, Solisten oder Dirigenten, einschlägige Konzerttermine und Empfehlungen ähnlicher Titel oder Alben. Aber das ist noch längst nicht alles: Ein Menüpunkt in der Roon-Oberfläche heißt zum Beispiel „Entdecken“, und was man da findet, beschreibt das System so: „Der Entdecken-Bereich spürt verborgene Schätze, ungeahnte Verbindungen zwischen Interpreten und interessante Hörerlebnisse in deiner Hörbibliothek auf.“ Das also meint „Discovery“.
Wie funktioniert das alles?
Roon ist eine komplexe, vernetzte Lösung zur Musikverwaltung, erdacht von einer Gruppe englischer und amerikanischer Audio-Ingenieure. Geräte, auf denen die Roon-Software läuft, verbinden sich mit dem Internet und fahnden in den Datenbanken des Systembetreibers nach allem, was sie zur Musik an Hintergrundinformationen und Bildern finden können. Die Recherche gilt nicht nur den Tonschätzen auf Speichern und Servern im Heimnetzwerk – sie begleitet auch die hochauflösenden Musikdatenströme des Streamingdienstes TIDAL. Kleiner Nachteil bisher: Die meisten begleitenden Texte zur Musik schickt Roon immer noch in englischer Sprache aufs Display. Doch Abhilfe ist in Sicht: Übersetzer in der Plattform-Community stellen nach und nach auch Versionen in anderen Sprachen zur Verfügung.
Aber welche Hardware braucht man überhaupt, um Roon nutzen zu können? Das System bietet eine ganze Fülle an Möglichkeiten. Als Server kommen zum Beispiel spezialisierte Komponenten wie die kleine Elac-Schachtel infrage, die ihre Verwaltungssoftware, in der Roon-Terminologie „Core“ genannt, schon an Bord haben. Aber solche Musikserver haben zumeist keinen eigenen Bildschirm. Deshalb bietet Roon „Control Apps“ an, die Mobilgeräte mit Android- und iOS-Betriebssystemen einfach gratis herunterladen können. Vor ihrem ersten Einsatz verbindet sich die jeweilige App mit dem Server, und ein paar Tipps später listet der Bildschirm auf, was im Musikarchiv schlummert – mit opulenten Bildern und ausführlichen Informationen, versteht sich. Roon arbeitet inzwischen längst nicht mehr nur mit Elac zusammen. Fast eine halbe Hundertschaft weiterer große Namen der High-End-Szene stehen heute auf Roons Hardware-Partnerliste – T+A zum Beispiel, MBL, AURALiC, Naim und NAD, um nur einige zu nennen. Als Server funktionieren aber nicht nur Spezialgeräte aus namhaften Manufakturen. Wenn es etwas profaner sein darf, können auch alle erdenklichen Rechenknechte die Musikverwaltung übernehmen – ganz gleich, ob sie unter Windows oder dem Mac-Betriebsssystem laufen. Für sie hält die Roon-Webseite die nötige „Core“-Software zum Download bereit – sogar gleich kombiniert mit der „Control“-Funktion zur Anzeige des Repertoires und zur Steuerung der Wiedergabe. Ist sie installiert, beginnt sie sofort mit der Suche nach allem, was sie an tönenden Dateien findet – also auch nach Musik, die zum Beispiel in einem iTunes-Archiv gespeichert ist. All dies landet in einer neuen, speziell für den Roon-Betrieb angelegten Datenbank, und der Spaß kann beginnen. Ob dann der Bildschirm des Notebooks, des Desktop-Rechners oder eines vernetzten Tablets die Musikinformationen anzeigt, kann der Roon-Nutzer ganz nach Lust und Laune entscheiden.
Als reine Musikspeicher, also Geräte ohne eigene Anzeigefunktion, bieten sich außerdem Linux-Rechner oder NAS-Laufwerke der Marken QNAP und Synology an. Selbst Intels NUC-Minicomputer taugen als Tonarchivare. Für all diese Maschinen stellt Roon spezielle Versionen der „Core“-Software zur Verfügung.
Aber wie funktioniert die Wiedergabe mit diesen so unterschiedlichen Lösungen?
Computer können zum Beispiel über eine USB-Verbindung Direktkontakt zu Digital-Analog-Wandlern in der Hi-Fi-Anlage herstellen. Spezialserver wie das Elac-Modell haben oft Analogausgänge an Bord und können so auf ganz konventionelle Weise den Ton an Verstärker oder Aktivboxen ausgeben. Es gibt zudem viele vernetzbare Hi-Fi-Geräte, die Roon speziell für Wiedergabe-Jobs zertifiziert hat.
Weitere Optionen gefällig? Es gibt sie in überraschender Auswahl. So können Computer und andere Roon-Server die Musik über WLAN an einen Chromcast-Empfänger funken. An einen Fernseher angeschlossen, bringt dieser Adapter obendrein noch ein Cover mit einem schönen großen, zusätzlichen Bild aus dem Internet auf den Bildschirm. Auch über Apples AirPlay-Funk lassen sich Ton und Bilder an passende Geräte übertragen. Wer auf das Sonos-System schwört, kommt ebenfalls zu seinem Recht: Die Roon-Software erkennt mit dem Heimnetz verbundene Sonos-Lautsprecher ebenso wie die Elektronikkomponenten des Herstellers und kann sie über WLAN ansteuern. Und schließlich: Wer zusätzlich das Softwarepaket Roon Bridge installiert, kann sogar exotische Wiedergabekomponenten wie den Bastelcomputer Raspberry adressieren.
Das ganze System besticht aber nicht nur mit enzyklopädischer Musikweisheit und Offenheit für alle erdenkliche Elektronik. Die Roon-Lösung empfiehlt sich auch für Audiophile, die Musikschätze in allen erdenklichen Digitalformaten und selbst in extrem hohen Auflösungen horten – etwa mit PCM-Abtastraten bis zu 768 Kilohertz oder als DSD-Dateien, die im Takt von 512 Megahertz ticken. Eingebaute Abtastratenkonverter passen die Datenmassen dann an die Fähigkeiten der Abspielgeräte an – entweder automatisch, weil die Software die Wiedergabekomponenten erkennt, oder penibel von Hand eingestellt. Subtile Justage-Optionen gibt es auch für den Klang: Ein parametrischer Equalizer, also ein Kosmetikum, das die Einsatzfrequenzen der einzelnen Filter genau festlegen kann und somit hochpräzise Anpassungen ermöglicht, gehört ebenso zur Ausstattung wie spezielle Filter für Kopfhörer oder Einstellungen, die berücksichtigen, in welcher Entfernung von einer Wand ein angeschlossener Lautsprecher Stellung bezogen hat.
Den Roon-Service gibt es allerdings nicht umsonst: Ein Jahresabo der Onlinedienste kostet ca. 150 Dollar, eine „lebenslängliche“ Mitgliedschaft im Roon-Club schlägt mit ca. 830 Dollar zu Buche. Das ist vielleicht nicht gerade ein Schnäppchen, aber: Kein anderes Musik-Archivsystem ist so vielseitig und so nützlich – gerade auch für Sammler, die Musikschätze in höchster technischer Qualität hegen und pflegen.
Der vorstehende Artikel ist erstmals im Lifestylemagazin „VOLUME“ 2018/2019, Edition 02 erschienen (Printmagazin). Zuletzt wurde der Artikel am 13.07.2023 aktualisiert.
Herausgeber des VOLUME-Magazins: HIGH END SOCIETY e. V., Verlag: MAXX8 GmbH
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