Boxenforscher
Von Stefan Schickedanz
Seit Anfang des letzten Jahrhunderts die ersten elektrodynamischen Lautsprecher von sich reden machen, hat sich technisch eine Menge getan. Nur die typische Form als Box ist im Wesentlichen unverändert geblieben. Nun gibt es nicht nur in England, dem Mutterland des Hi-Fi-Gedankens, oder den USA und Japan nach wie vor Hersteller, die sich der Kunst der perfekten Schallwandlung verschrieben haben. Gerade in Deutschland sind es mittelständische Unternehmen, die sich mit leidenschaftlicher Hingabe der Weiterentwicklung des Lautsprechers widmen. Eines davon ist Gauder Akustik in Renningen bei Stuttgart.
Der Gründer hat die Firma 2013 nach sich selbst benannt. Zuvor firmierte Roland Gauder unter dem Namen Isophon, die Zielvorgabe des Physikers ist jedoch die gleiche geblieben: der perfekte Lautsprecher, der nichts zur Musik hinzufügt, aber auch nichts unterschlägt. Mit seinem jüngsten Geniestreich, der DARC-Serie, ist der leidenschaftliche Entwickler seinem Ziel wieder ein ganzes Stück nähergekommen. Und wer den 61-Jährigen erlebt, wie er mit beinahe kindlicher Begeisterung von den jüngsten Fortschritten durch eine in Sandwich-Bauweise bedämpfte Aluminium-Rippenkonstruktion schwärmt, dem wird schnell klar: Dieser Mann wird niemals nachlassen. Ganz gleich, wie gut seine Lautsprecher sich entwickelt haben – morgen wird er garantiert schon wieder mit einer neuen Idee kommen ...
Schließlich vereint „Mister Lautsprecher“ fundiertes Fachwissen mit einer gehörigen Portion Kreativität sowie unstillbarer Neugier. Durch diese Mischung kam der 1957 in Stuttgart geborene Tüftler überhaupt erst zum Lautsprecherbau. Seine ersten eigenen Lautsprecher hatte er bereits als Schüler aus Teilen ausgeschlachteter Elektrogeräte gebaut. Die nötigen Chassis fand er beispielsweise in alten Fernsehern. Und er verschlang alles, was es an Literatur zum Thema gab – schließlich hatte ihn die Lust am Selbermachen gepackt: „Erst willst du einen Verstärker bauen, dann einen Plattenspieler, eine Lichtorgel, einen Projektor und so weiter.“
Die Begeisterung bewahrte er sich auch als Student an der Technischen Hochschule in Stuttgart, die er 1989 mit dem Doktor der Physik abschloss. Da stand er als zweifacher Vater bereits vor der Herausforderung, Geld verdienen zu müssen. Er jobbte als Hi-Fi-Verkäufer, schrieb für das Fachmagazin stereoplay Lautsprecher-Tests, schrieb an einem Buch über Lautsprecher mit – und wurde so von der Berliner Firma Isophon entdeckt, die einen sogenannten Bandpass-Lautsprecher entwickeln wollte, der im harten Diskothekeneinsatz nicht so schnell kaputtgehen sollte. Gauder übernahm das Projekt, konnte seine Auftraggeber überzeugen und hatte schließlich einen festen Vertrag in der Tasche. Es sollte der Beginn einer langen, erfolgreichen Zusammenarbeit werden. Von 1988 bis 1997 betätigte sich Gauder als Lautsprecherentwickler für Isophon, schuf Boxen wie die Indigo, Vertigo oder Ontario. 1997 gründete er sein eigenes Consulting-Unternehmen in Renningen, das auch die Entwicklung, Produktion und den Vertrieb der Lautsprecher von Isophon einschloss. 2005 kam die Entwicklung und Produktion von Plattenspielern für THORENS dazu, 2013 schließlich die Umfirmierung in Gauder Akustik.
Ab da griff Gauder nur noch auf eigene Chassis oder solche von Accuton zurück. Bereits seit 2005 hatte er in den Cassiano-Boxen Keramik- und Diamantmembranen modernster Bauart eingesetzt: „Ich hab mit Papiermembranen angefangen, bin mit diesem Material aber bald an Grenzen gestoßen.“ Zwar sammelten die von Gauder entwickelten Lautsprecher im Laufe der Jahre zahlreiche Auszeichnungen, doch das alles reichte dem Perfektionisten nicht. Vor allem die Gehäusekonstruktion hatte es ihm angetan. Als sie wieder einmal intern diskutierten, wie ein perfektes Gehäuse aussehen könnte, brachte eine Mitarbeiterin eher zufällig mit einer Frage die Kybernetik ins Spiel. Wie würde wohl die Natur einen Lautsprecher bauen? Für Gauder war das so etwas wie eine Initialzündung. „Wahrscheinlich“, so seine spontane These, „würde sie sich den Menschen zum Vorbild nehmen.“ Schließlich haben wir ja auch ein Luftvolumen im Körper mit dämpfenden Rippen dazwischen und einer rückseitigen Wirbelsäule für die Steifigkeit. Warum nehmen wir uns also nicht einfach den menschlichen Körper zum Vorbild?
So kam es zu den schichtweise aufgebauten Berlina-Boxen, deren gekrümmte – sprich steifere – Seitenwände zur Dämmung mit einer Lage Holzprofile versehen sind. Die mit Stein belegte Schallwand übernahm die Funktion der Wirbelsäule. Durch die Tropfenform konnte sich der Schall zudem besser ausbreiten als bei den bisherigen eckigen Lautsprecherboxen. Anfangs handelte es sich noch um Gehäuse aus dreifach kreuzverleimtem Schichtholz und MDF. Doch Aluminium ist mit seiner vierfach höheren Dichte für Schall im Mitteltonbereich absolut undurchlässig, im Bass nahezu undurchlässig. Mit diesem Material wollte Gauder ungewollte Sekundärschallquellen noch besser ausschalten, damit die Eigenschwingungen des Gehäuses so gut wie unhörbar werden. Aber Aluminium brachte gerade wegen seiner Härte ein neues Problem mit sich: Es resoniert ähnlich einer Glocke und würde dem Klang nicht mehr akzeptable Verfärbungen hinzufügen. Die Lösung des Problems aus der Kybernetik: Jeweils eine Lage Aluminium mit dämpfenden „Rippen“ dazwischen. Mit seiner Dynamic Aluminium Rip Construction – kurz DARC – ist der Lautsprecherperfektionist dem perfekten Gehäuse wieder ein gutes Stück nähergekommen.
Doch Gauder Akustik steht nicht nur für ausgeklügelte Mechanik. Auch die elektronischen Komponenten der Renninger Lautsprecher sind ein wichtiger Schlüssel zu ihrem außergewöhnlichen Klang. Die Frequenzweichen, die das aus dem Verstärker kommende Signal in Bässe, Mitten und Höhen aufteilen, trennen die einzelnen Bereiche extrem präzise voneinander ab. Der Experte spricht von sogenannten Flankensteilheiten von 70 Dezibel, während gewöhnliche Lautsprecher meist nicht einmal ein Drittel dieser Trennung erreichen. Weil die zugrunde liegenden Berechnungen selbst ein Mathegenie nicht einfach am Computer ausführen kann, greift Gauder zur ganz großen Keule: An der Hochschule für Technik in Stuttgart-Vaihingen steht eine Cray Workstation mit 84.000 Einzelprozessoren. Erst mit dem größten Supercomputer Europas erreichte Gauder sein Ziel. Die gute Infrastruktur der Region kommt ihm in mehrfacher Hinsicht zugute. Alle Komponenten sind „handmade in Germany“.
Damit endlich zum vergnüglichsten Teil unserer Reise nach Renningen, einer Hörprobe mit der kleinsten Standbox aus der DARC-Serie. Wenn aus der veranschlagten Viertelstunde mehrere Stunden werden, belegt allein diese ausufernde Session, dass „Mister Lautsprecher“ die Messlatte mal wieder ein ganzes Stück höher gelegt hat. Wir lauschen, nein wir zelebrieren nach mehreren Songs vom Santana-Album „Abraxas“ aus dem Jahr 1970 am Ende sogar noch Heavy Metal – eine Musikrichtung, mit der man mich gewöhnlich jagen kann. Doch Manowar und Black Sabbath à la Gauder machen Spaß. Ich genieße die frappierende Dynamik, grob wie fein. Die Auflösung überzeugt ebenso wie die Räumlichkeit, ich habe das Gefühl, um die Musiker herumlaufen zu können. Dazu gesellt sich ein trockener und für die Gehäusegröße dennoch ausgesprochen tiefer Bass. Da ist er wieder, der Geist der frühen Tage, als der Kernphysiker noch Lichtorgeln baute. Der neue DARC 5 ist mehr als nur ein Lautsprecher, er ist eine Zeitmaschine. Wir dürfen gespannt sein, was dem Lautsprecher-Tüftler als Nächstes einfällt.
Der vorstehende Artikel ist erstmals im Lifestylemagazin „VOLUME“ 2018, Edition 01 erschienen (Printmagazin). Zuletzt wurde der Artikel am 10.03.2023 aktualisiert.
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