Ganz ehrlich
Von Klaus-Peter Bredschneider
Kennen Sie Ostwestfalen? Fußballfans werden sich vermutlich an Arminia Bielefeld oder auch an den SC Paderborn als sporadische Gäste in der ersten Bundesliga erinnern. Davon sind beide Teams derzeit weit entfernt, Mittelmaß ist angesagt. So stellt sich die Lage zumindest fußballerisch und aus der Sicht eines Bayern dar. Der nordöstliche Ausleger des bevölkerungsreichsten Bundeslandes wird gern unterschätzt. Jeder kennt Melitta. Aber wer war schon in Minden? In Gütersloh ist Miele beheimatet, in Bielefeld sitzt mit Dr. Oetker einer der größten deutschen Familienkonzerne, und noch ein paar Kilometer weiter nördlich wurde einst in Herford die Einbauküche von einem gewissen Friedemir Poggenpohl erfunden.
Im Mittelalter war Herford geistiges Zentrum der Gegend und mit seinen fünf Stadttoren und 14 Türmen eines der am besten befestigten Städtchen in Deutschland. Heute ist die Hansestadt so etwas wie das Küchenzentrum der Welt. Wichtige Küchenhersteller sind hier sowie im Umfeld entstanden, hoch spezialisierte Zulieferer haben sich angesiedelt. Man sollte Stadt sowie Region also nicht unterschätzen, zumal von Herford inzwischen nicht mehr nur Impulse für die Küche ausgehen, sondern auch für Hi-Fi-Enthusiasten. „Vom Unternehmenssitz in Herford aus kreiert, produziert und optimiert T+A elektroakustik Hi-Fi-Komponenten in höchster Qualität“, lässt der Hersteller von sich selbst wissen. Wer sich schon einmal mit dem Kauf eines hochwertigen Verstärkers oder Lautsprechers beschäftigt hat, dem ist die Marke ein Begriff. T+A steht für „Theorie und Anwendung“, was sich reichlich nüchtern anhört, dafür aber den Charakter der Region ganz gut beschreibt. Man gibt sich dort eher bescheiden, klopft nicht die ganz großen Sprüche und hält dafür mehr, als man verspricht.
So in etwa kann man sich auch Siegfried Amft vorstellen, den Firmengründer, Inhaber und „Spiritus Rector“ des Unternehmens, der T+A nach seinem Physikstudium in nunmehr exakt 40 Jahren aus einer Hobbywerkstatt heraus zu einer prosperierenden High-End-Marke ausgebaut hat. Die moderne Firmenzentrale mit ihrer markant gerundeten Glasfront steht in unmittelbarer Nähe zur Autobahnauffahrt der A 2, knapp 100 Mitarbeiter zählt das Unternehmen und ist damit zu einem beachtlichen Arbeitgeber in der Region angewachsen. Damals, als Amft mit dem Lautsprecherbau angefangen hatte, weil er sich die Entwicklung teurer Verstärker-Elektronik noch nicht leisten konnte, war die große Gründungswelle der Hi-Fi-Branche eigentlich schon wieder verebbt.
In den 1960er- und 1970er-Jahren waren die durchweg von Enthusiasten gegründeten High-End-Start-ups in England, aber auch hierzulande geradezu wie Pilze aus dem Boden geschossen. Einige konnten selbstständig überleben, wieder andere haben den Besitzer meist in Richtung Fernost gewechselt. Und T+A? Da ist man gewachsen, kontinuierlich und unaufgeregt, vom reinen Lautsprecheranbieter hin zum Vollsortimenter, der inzwischen auch keine Scheu zeigt, in höhere und höchste Preisregionen vorzudringen. Die feinen Geräte entstehen nach wie vor in Herford und kosten so ab 3.000 Euro, wobei für Komponenten der extrem aufwendig entwickelten und ausgestatteten HV-Serie durchaus die zehnfache Summe fällig werden kann. Das ist fraglos sehr viel Geld, gemessen an so manchem exotischen Konkurrenzprodukt aber durchaus mit moderatem Augenmaß kalkuliert. Sozusagen der Porsche der Unterhaltungselektronik, aber immer noch kein Ferrari oder gar Bugatti.
Eine Einsteiger-Preisklasse, die jüngere Käufer anlocken könnte, peilt der Unternehmenslenker übrigens nicht an, weil sich das am Produktionsstandort Ostwestfalen nicht wirtschaftlich realisieren ließe: „Ich habe nicht vor, wirklich billige Geräte herzustellen oder aus Fernost zuzukaufen, nur um die Preisklasse um 1.000 Euro zu besetzen.“
Der engen High-End-Nische ist T+A dennoch längst entwachsen, immerhin verlassen jedes Jahr fast 10.000 Geräte das Werk in Herford. Eine traditionelle Manufaktur könnte diese Stückzahl nicht bewerkstelligen, andererseits fallen die Komponenten auch nicht vom Fließband: Die Lösung liegt in Teamarbeit, in flexiblen Arbeitsgruppen, die die Geräte unter modernstem Maschineneinsatz, aber immer noch einem hohen Anteil an sorgfältiger Handarbeit fertigen. Durch diese Identifikation der Mitarbeiter mit dem Herstellungsprozess kann der Unternehmer Amft auch flexibel auf wechselnde Nachfragen und Trends reagieren. Falls heute vor allem Verstärker gefragt sind und morgen mehr Player und das Pendel danach wieder zurückschlägt – T+A hat auch produktionstechnisch stets die passende Antwort parat.
Gibt es ein Erfolgsgeheimnis? Wie konnte aus einer – um hier ein wenig den Apple-Vergleich zu bemühen – Garagenwerkstatt heraus eine Marke kontinuierlich wachsen, allen Branchenkrisen erfolgreich widerstehen und zu einem Inbegriff für Qualität „made in Germany“ werden? Im Grunde liegen die Erfolgsfaktoren auf der Hand: Die Produkte klingen nicht nur hervorragend, sie sind auch ebenso gefertigt. Sie sind Bestand- teil eines langfristig angelegten Systemkonzeptes und auch dadurch von Anfang an das gewesen, was heute alle sein wollen – nämlich nachhaltig. Auch wenn es sicherlich übertrieben wäre, in einen Verstärker von T+A als Wertanlage zu investieren – gutes Geld wird man immer bekommen, wenn man ihn eines Tages veräußern möchte, um beispielsweise die nächste Qualitätsstufe zu erklimmen. Am innigsten verkörpert übrigens die R-Serie diese nachhaltige Produktphilosophie: Über die Jahre und Jahrzehnte wurde sie von innen heraus weiterentwickelt – das ohne- hin zeitlose Design ist sich dabei stets selbst treu geblieben. Ganz so, wie Porsche es beim 911er erfolgreich vorgemacht hat. Der neue muss als solcher erkennbar und auch besser sein, darf den alten aber nicht entwerten. Exakt so werden Ikonen geboren.
Der vorstehende Artikel ist erstmals im Lifestylemagazin „VOLUME“ 2018, Edition 01 erschienen (Printmagazin). Zuletzt wurde der Artikel am 14.08.2023 aktualisiert.
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