Und das Navi lügt doch nicht. Wir verlassen das Wohngebiet am Rande Erlangens, tauchen unmittelbar in dichten Nadelwald ein, biegen noch einmal links ab – und landen direkt vor der Halle, hinter der sich clearaudio verbirgt. Eine Plattenspielermanufaktur mitten in der Natur an der frischen Luft. Hinter dem Firmensitz im Grünen steckt Kalkül: Der Elektronikkonzern Siemens produzierte hier bis Anfang der 1980er Jahre Röntgenfilme. Dafür brauchte er besonders reine Luft und durfte sich daher mit seiner sauberen Fabrik in einem Landschaftsschutzgebiet ansiedeln. Siemens hat den Firmensitz längst aufgegeben, aber ein ehemaliger Ingenieur des Unternehmens fand hier die idealen Bedingungen zur Fertigung seiner edlen Plattenspieler.
Der ehemalige Siemens-Ingenieur heißt Peter Suchy. Und seine vor exakt 40 Jahren mitten im Nadelwald gegründete Manufaktur hat sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte zu einer der weltweit erfolgreichsten Plattenspielerproduktionsstätten im gehobenen Marktsegment entwickelt. Die immer noch sorgfältig von Hand gefertigten Plattenspieler, Tonarme und Systeme aus Erlangen waren von Anbeginn an weltweit so gefragt, dass der Unternehmer quasi über den Exporterfolg sein Wachstum finanzieren und sukzessive auch den deutschen Markt erschließen konnte. Peter Suchy genießt mittlerweile sein wohlverdientes Pensionärsdasein, die zweite Generation hat inzwischen den Familienbetrieb clearaudio übernommen, die Geschwister Veronika, Patrick und Robert führen das Lebenswerk von Peter Suchy fort – und zwar ständig weiter in Richtung Wachstum.
Der Gründer ist nicht nur eine Kapazität auf dem Gebiet der Audio-Wiedergabe, er zählt auch zu den Pionieren auf dem Gebiet der Brennstoffzellen. Als wir ihn vor Jahren zum ersten Mal in seinem Büro besuchten – ein Kleinod für jeden Technikfan –, räumte der Entwickler schnell noch ein paar Verträge beiseite. Die sollten offenbar einem Autohersteller den Zugang zu Suchys Erfahrung mit einer einzigartigen Methode zur effizienten Speicherung von Wasserstoff ohne Druckbehälter sichern. Und zwar mittels Carbazol, einem dieselähnlichen Stoff. Zwischen Grammophonen und Plattenspielern saß der Senior und hielt uns den Prototyp einer Brennstoffzelle entgegen. Damit hatte er Großes vor: Über die Schwesterfirma Nextpem – sie saß im selben Gebäude – wollte er mit einem Minikraftwerk auf den Markt kommen, das nicht nur vom zentralen Stromnetz unabhängig machen, sondern besonders anspruchsvollen High-Endern hochreinen und stabilen Strom aus eigener Erzeugung liefern sollte.
Natürlich fragen wir seinen Sohn Robert Suchy, in der Geschäftsleitung für Marketing, Export und das operative Geschäft zuständig, ganz neugierig, was aus der Pionierleistung geworden ist. Bei den Autoherstellern hält sich Suchy etwas bedeckt, bei Nextpem hat er gute und weniger gute Neuigkeiten. Es gab tatsächlich einige in Kleinserie gebaute Brennstoffzellenmodule, doch als es um eine Serienfertigung in industriellem Maßstab ging, war der Unternehmerfamilie sozusagen Jacke näher als Hose. Es kam zum Zielkonflikt mit der beständig wachsenden Plattenspielerproduktion, sowohl vom Investitions- als auch vom Personalbedarf her. Das bedeutete für die stets perfektionistisch vorgehenden fränkischen Unternehmer einen konsequenten Schnitt: Sie trennten sich von der seinerzeit im gleichen Haus untergebrachten Schwesterfirma Nextpem und konnten sich fortan noch mehr auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. Und das spürt man.
Während in vielen mittelständischen High-End-Schmieden die Zeit stillzustehen scheint, sieht man im Hause clearaudio das Wachstum in allen Facetten. Inzwischen arbeiten hier mehr als 50 Leute, vor fünf Jahren waren es nicht mal 40. Gerade der Bereich Forschung profitierte ganz besonders von der Bündelung der Ressourcen, ganz gleich, ob es um Antriebe, Materialien, Tonabnehmer, Tonarme oder Phonoverstärker geht. In seiner Aufzählung stellt Robert Suchy aber auch die Waschtechnik heraus: „Da haben wir mit der neuen Maschine, die demnächst herauskommt, wieder ein paar tolle Kniffe, also Verbesserungen und Erleichterungen erzielt.“ Immerhin sind bereits die bestehenden Plattenwaschvollautomaten, allem voran die Double Matrix, weltweit so gefragt, dass clearaudio Jahr für Jahr einen Lieferrückstand von 200 Geräten vor sich herschiebt. „Unseren Bedarf an Fachkräften zu decken, ist hier gar nicht so leicht. Erlangen ist zwar nicht so riesig, aber hier haben sich viele große Unternehmen und Forschungsanstalten angesiedelt. Wir konkurrieren hier mit Namen wie Fraunhofer um die Gunst von Stellenbewerbern. Und Wohnungen sind auch knapp. Viele unserer Angestellten kommen jeden Tag von weit her“, erklärt Robert Suchy.
Der Rundgang fällt diesmal noch länger aus als beim letzten Besuch. Es ist halt alles gewachsen: die Fertigung, das Lager und auch die Verwaltung mit eingegliederter Internet-Unit haben sich vergrößert. Schließlich legt clearaudio nicht nur größten Wert auf möglichst hohe Fertigungstiefe und forscht an allen Fronten. Die Suchys erkannten außerdem sehr früh das immense Potenzial des World Wide Web. Neben einem eigenen, sehr professionell aufgezogenen Webstore kam inzwischen noch eine vitale Aktivität in den sozialen Medien hinzu. Schließlich gehört Klappern zum Handwerk. Auf Facebook gibt es eine clearaudio-Gruppe mit um die 800 Mitgliedern, dem Unternehmen folgen fast 7.000 Follower. Doch auch die Produkte sind hip. Innovationen mit beachtlicher Frequenz beweisen, dass clearaudio bei aller Nostalgie, die beim Thema High-End-Vinyl-Wiedergabe unweigerlich mitschwingt, immer nach vorne schaut.
Eine Ikone entstand 1991, in dem Jahr, als Robert Suchy bei clearaudio einstieg – offiziell, denn schon als Jugendliche packten er und seine beiden Geschwister auf Messen mit an. Zu der Zeit kaufte Peter Suchy, der vor einigen Jahren die Firmenleitung an ein Triumvirat aus seinen beiden Söhnen Patrick und Robert sowie deren Schwester Veronika abgab, den Tonarmhersteller Souther. Der Gründer, der mit seinen technisch gewagten Ideen über drei Jahrzehnte den Auftritt seiner Produkte prägte, die heute in mehr als 80 Länder exportiert werden, brachte den außergewöhnlichen Linear-Tonarm zur Serienreife. Der Statement TT1 kommt wie seine Derivate TT2 und TT3 ohne Motoren aus. Der an einem Faden aufgehängte Tonabnehmer wird von der Rille über die Platte gezogen. Unschwer vorstellbar, wie groß die Fertigungspräzision dieser Preziosen und insbesondere des Lagers sein muss.
Ein weiteres Beispiel ist ganz neu und fällt in den Bereich der Tonabnehmer. Suchy zum Charisma: „Der ist nicht gratis, aber das ist ein MM-System, das fast wie ein MC-Tonabnehmer klingt. Das ist, glaube ich, wirklich ein ganz, ganz toller Wurf.“
Und auch in den Bereichen Produktion und Konstruktion geht clearaudio eigene Wege. So baute sich das Unternehmen schon vor längerer Zeit einen exklusiven Messstand zur Überprüfung der elektromagnetischen Einstrahlfestigkeit seiner Plattenspieler. Doch nicht nur neue Technologien oder Lösungen sind typisch für clearaudio. Die Marke erschließt auch zielstrebig neue Käuferschichten. Dafür wird das Programm in alle Richtungen ausgebaut. Mit dem Concept erleichtern sie den Einstieg in die audiophile Vinylwelt. Auf der anderen Seite setzen die Franken mit dem Monument Master Innovation und dem mächtigen Statement weltweit sehr gefragte Ausrufezeichen.
Bei einem Rundgang zeigt uns Robert Suchy nicht ohne Stolz zahlreiche Beispiele für die außergewöhnlich hohe Fertigungstiefe: „clearaudio ist eine richtige Manufaktur, die nicht nur einfach zugelieferte Teile zusammenbaut.“ Wir sehen Metallbearbeitungsmaschinen mit modernster CNC-Technik für Drehteile wie Lager, Werkbänke, an denen nicht nur die Endmontage sämtlicher Plattenspieler erfolgt, sondern auch noch die Holz- und Metallteile des weit über 100.000 Euro teuren Flaggschiffs Statement miteinander verleimt werden. Selbst so ausgefallene technische Geräte wie die Plattenwaschmaschine Smart Matrix Professional, in der Bauteile einer hochwertigen Haushaltswaschmaschine zum Einsatz kommen, nehmen hier Gestalt an. Besonders ruhige Hände brauchen die Spezialisten, die Tonabnehmer zusammenbauen und unter dem Vergrößerungsglas winzige Spulen wickeln. Allein die Justage des Flaggschiffs Goldfinger Statement dauert vier bis fünf Tage.
Unsere kurzweilige Tour endet wieder da, wo sie Stunden vorher begann: im Showroom, der auch als kleines Museum in Sachen Schallplattenwiedergabe dient. Und selbst dieser Raum ist nicht mehr wiederzuerkennen. An der Stirnseite steht eine glamouröse Vorführanlage im Wert eines exotischen Supersportwagens, durch direkte und indirekte Beleuchtung opulent in Szene gesetzt. Auf der linken Seite lässt clearaudio die Firmengeschichte Revue passieren. Darüber prangt ein modernes Ölgemälde mit dem Notenblatt von „Ode an die Freude“. Die drei Geschwister Robert, Veronika (Human Ressources und Organisation) und Patrick (R&D, Produktion) haben den Übergang vom Übervater der Manufaktur mit Bravour gemeistert und bereits in kurzer Zeit eigene Akzente gesetzt, was sich auch in den eigens für clearaudio gemalten Bildern zeigt, die in den Büros, Gängen und dem Vorführraum eine visuelle Klammer zum akustischen Schaffen von clearaudio bilden. Das Sujet sind vor allem Musikhelden wie Hendrix, vor dessen Porträt sich Robert Suchy ablichten lässt. Vor diesem malerischen Hintergrund kann clearaudio in diesem Jahr sein 40. Jubiläum im maßgeschneiderten Rahmen begehen.
Der vorstehende Artikel ist erstmals im Lifestylemagazin „VOLUME“ 2018, Edition 01 erschienen. Zuletzt wurde der Artikel am 04.03.2024 aktualisiert.
Herausgeber des VOLUME-Magazins: HIGH END SOCIETY e. V., Verlag: MAXX8 GmbH
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