Klang Ikonen
Von Holger Biermann und Julian Bauer (Fotos)
Unsere Geschichte beginnt in Maidstone, Südengland. Wir schreiben die frühen 1960er-Jahre, und es ist die Geschichte eines Hi-Fi- und Musik-begeisterten jungen Mannes, der mit der Qualität der damals gebotenen Lautsprecher ziemlich unzufrieden war – und kurz entschlossen mit einem Freund seine eigene Manufaktur eröffnete. Im Grunde beginnen zu jener Zeit zahlreiche Hi-Fi-Firmengeschichten so. Und doch ist diese anders, denn sie erzählt von technischen Revolutionen, die den Lautsprecherbau bis in die heutigen Tage maßgeblich beeinflussen sollten. Sie handelt von einer völlig neuen Sichtweise auf die Hi-Fi-Entwicklung. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Firmengründungen war Raymond Cooke nicht nur überzeugt, dass er die Welt der Lautsprecher verbessern kann – er machte seine Ankündigung auch wahr.
Raymond Cooke war zuvor Akustik-Entwicklungsingenieur bei der ehrwürdigen BBC. Als er 1961 die Kent Engineering & Foundry – kurz KEF – gründete, konnte er bereits auf umfangreiche Erfahrungen und Forschungsergebnisse zurückgreifen, die sich ein kleines „Start-up“ dieser Größenordnung nie hätte leisten können. Cookes erstes Firmengebäude war ein kleiner Schuppen, doch die Unternehmung nahm schnell Fahrt auf und gewann fast noch schneller an internationaler Reputation. Das lag nicht nur an den schon damals außergewöhnlich gut klingenden Lautsprechern, sondern auch daran, dass Cookes Team jede Menge neuartiger Ansätze entwickelte.
So waren die etablierten Lautsprecherhersteller damals der Auffassung, die Chassis einer Box müssten für die beste Klangqualität unbedingt aus Pappe sein. Nicht jedoch Cooke: Aufgrund seiner BBC-Untersuchungen wusste er um die Vorzüge hochdämpfender Stoffe und entwickelte Membranen aus Kunststoff. „Bextren“ heißt der von KEF eingesetzte Stoff – er sollte Generationen von Lautsprecherentwicklern beeinflussen. Es war natürlich Ehrensache, keine Treibertechnik hinzuzukaufen, sondern alles im eigenen Haus zu produzieren. Dabei ist es übrigens bis heute geblieben.
Mit der neuen Membrantechnologie spielt sich KEF mehr und mehr an die Spitze der Lautsprecherwelt. In Folge gab die BBC 1968 bei ihm einen Nahfeldmonitor in Auftrag, die LS3/5a. Die kleine Box wurde auf Anhieb zu einer Ikone – und ist es noch immer. Diesen Status gaben Cooke und sein Entwicklerteam für lange Zeit nicht mehr her. Es folgen die 1970er-Jahre und mit ihnen die weltweit ersten Computeranalysen und damit ein immer besseres Verständnis der perfekten Klangwiedergabe. Daraus resultierte 1977 die Maßstäbe setzende KEF Reference 105, deren konsequent auf beste Akustik getrimmte Form später auch zahlreiche Mitbewerber inspirieren sollte. In diesen Jahren ist KEF so erfolgreich, dass sogar die Queen auf die Hightech-Schmiede in der Grafschaft Kent aufmerksam wird – sie adelte Raymond Cooke mit dem Order of the British Empire (OBE).
Raymond Cooke zeichnete stets ein außergewöhnlich gutes Händchen bei der Auswahl seiner Mitarbeiter aus. Sein erster technischer Direktor, Laurie Fincham, veröffentlichte zum Beispiel Abhandlungen zum Thema, die weltweit für Furore sorgten. Zum Nabel der Lautsprecherforschung aber wird KEF Mitte der 1980er-Jahre, als der promovierte KEF-Mitarbeiter Richard Thiele zusammen mit seinem gleichgesinnten Freund Neville Small die Lautsprecher-Parametermessungen nach Thiele & Small entwickelte. Ab da tickt die Lautsprecherwelt genauer. Erstmals werden fast alle wichtigen Parameter erfasst und vergleichbar – Messergebnisse, die bis heute ihre Gültigkeit bewahrt haben.
Mitte der 1980er-Jahre entschließt sich Fincham zu einem radikalen Schritt: Weil mittlerweile extrem kompakte Neodym-Magnete zur Verfügung stehen, sieht er die Zeit reif für sein Lieblingsprojekt – den koaxialen Mittelhochtöner. Bei KEF heißt diese Kombination aus Tiefmitteltöner und mittig eingesetztem Hochtöner „Uni-Q“. Die Idee dazu ist nicht neu, die Vorteile in Bezug auf Abstrahlverhalten und Phasenstabilität sind einfach überzeugend. Aber KEF betreibt die Forschung dazu aufwendiger als jeder andere Hersteller. Der aktuelle Uni-Q ist bereits die 13. Generation; der KEF Uni-Q ist damit zum vermutlich weltweit am intensivsten erforschten Lautsprechertreiber geworden. Und er bringt die Entwickler und Designer bei KEF auf völlig neue Ideen. Heute gibt es keinen einzigen Lautsprecher aus Maidstone ohne den markanten Koaxialtreiber.
So war KEF über die Jahre technologisch ganz weit vorne – nur den Zeitgeist hatten die Briten dabei aus den Augen verloren. Der stand nämlich in den ausgehenden 1980er-Jahren zunehmend auf Design und immer weniger auf „lässig“ verarbeitete Boxen im traditionellen Nussbaum-Look. Die Umsätze brachen ein, KEF kam ins Wanken und wurde 1992 von der in Hongkong angesiedelten chinesischen Gold-Peak-Gruppe übernommen. Häufig bedeuten solche Übernahmen den Anfang vom Ende – im Falle KEF sollte sie sich als echter Glücksfall erweisen. Mit Victor Lo war nämlich ein großer Hi-Fi-Fan zum neuen Besitzer auf- gestiegen, der zwar wenig von Akustik verstand – dafür aber als ausgebildeter Industriedesigner umso mehr da- von, wie ein zeitgemäßer Lautsprecher auszusehen hat. Lo verordnet der britischen Lautsprechermarke zudem keine Radikalkur, er beließ Forschung, Entwicklung und auch die Designabteilung weiterhin in Maidstone – lediglich große Teile der Produktion wurden nach China ausgelagert. Dieser Ortswechsel sollte der Fertigungsqualität allen skeptischen Stimmen zum Trotz sehr gut bekommen: Mehr als 4.000 Menschen, allesamt mit Handschuhen bewehrt, gehen in der Gold-Peak-Fabrik sorgfältig ihrer Handarbeit nach. Unregelmäßige Spaltmaße, mäßig verarbeitetes Furnier, zweitklassiges Lackfinish – all das gehört seitdem der Vergangenheit an.
Bereits wenige Jahre später tragen die neuen Besitzverhältnisse erste sichtbare Früchte. 1995 finden die ästhetischen Vorstellungen von Victor Lo und die akustischen Fähigkeiten der Traditionsfirma in einem für KEF geradezu revolutionären Gehäuse zusammen: Der KHT 2005 ist ein smarter, organisch geformter Lautsprecher im edlen Aluminiumgehäuse, der – nun fügen sich Tradition und Moderne zusammen – dank des kompakten Uni-Q universelle Einsatzmöglichkeiten bietet: als Stereolautsprecher, als Surround-Speaker, gerne auch als Desktop-Monitor aufrecht oder quer ... Und „The Egg“, wie der neue Lautsprecher von den KEF-Fans genannt wird, klingt für seine Größe zudem überragend.
Die KHT-Produktpalette ist nur der Anfang vom zweiten geradezu kometenhaften Aufstieg der Traditionsmarke. Jetzt schlägt die Stunde der Designer: Das hauseigene Team wird von Simon Davis geleitet, für spezielle Produkte arbeitet KEF auch mit renommierten externen Designern zusammen. So entstanden die neuen Kopfhörer zusammen mit Porsche Design und das spektakuläre Lautsprecher-Flaggschiff Muon wurde vom Stardesigner Ross Lovegrove wie eine Skulptur ganz aus Aluminium entworfen. Mit der Blade und dem LS 50 demonstriert KEF anschließend, wohin die Reise technologisch wirklich hin- gehen soll. Beide Schallwandler basieren auf dem Uni- Q-Chassis und zeichnen sich durch eine idealtypische Abstrahlung aus – wofür auch die seitlich angeordneten Tieftöner verantwortlich zeichnen. Die organischen Formen sind übrigens nicht den Designern allein geschuldet, sondern das Ergebnis einer ausgeklügelten Akustik. Die enge Zusammenarbeit der Designabteilung mit dem Entwicklungsteam unter der Leitung von Jack Oclee-Brown hat sie hervorgebracht. Jack Oclee-Brown, der trotz seines jugendlichen Alters bereits zu den herausragenden Lautsprecherentwicklern zählt, ist trotz seines Wissens stets offen geblieben für völlig neue Konzepte.
Die Blade ist im Museum of Modern Art genauso gut vorstellbar wie in urbanen Lofts in Berlin, London, Tokyo oder Shanghai. Solche modernen Klangskulpturen werden mehr als Kunstwerk denn als Möbel wahrgenommen. Aber auch die klangliche Abstimmung begeistert Musikfans auf der ganzen Welt: ein sattes Bassfundament, gepaart mit einer extrem neutralen und transparenten Musikwiedergabe. Und natürlich die geradezu greifbare räumliche Abbildung des musikalischen Geschehens – all das beherrscht die Blade nahezu perfekt. Weil der Platz in City-Lofts rar und teuer ist, gibt es auch eine deutlich „geschrumpfte“ Blade – die ebenfalls phänomenale LS 50. Als aktive LS 50 Wireless kann sie ganze Hi-Fi-Anlagen ersetzen und wird damit zu einem digitalen Alleskönner für ambitionierte Musikhörer.
Der Wandel von einer etwas skurrilen, rein klangorientierten Hi-Fi-Manufaktur hin zu einer hochmodernen Lautsprecherfabrik mit hohem Designanspruch ist gelungen. Heute zählt KEF zu den weltweit führenden Herstellern im Premiumsegment, die Lautsprecher und Kopfhörer sind in 83 Ländern erhältlich, allein in Deutschland gibt es fast 600 Händler. Kein Wunder, erfüllt KEF doch konsequent die Erwartungen einer Generation, die mit der technischen und gestalterischen Perfektion eines iPhone groß geworden ist.
Der vorstehende Artikel ist erstmals im Lifestylemagazin „VOLUME“ 2018, Edition 01 erschienen (Printmagazin). Zuletzt wurde der Artikel am 02.03.2023 aktualisiert.
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